Aus dem Zusammenschluss von IG Bergbau und Energie, IG Chemie-Papier-Keramik und der Gewerkschaft Leder entstand im Herbst 1997 die IGBCE. Das Ziel: die Bündelung der vorhandenen Kräfte, die Stärkung der Organisation sowie die Verbesserung der Durchsetzungsfähigkeit im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder. Auf dem Gründungskongress 1997 wurde Hubertus Schmoldt zum ersten Vorsitzenden der neuen IGBCE gewählt. Im Interview erzählt er, warum die Fusion mehrere Jahre gedauert hat, was der größte Knackpunkt bei den Verhandlungen war und wie er die heutige IGBCE sieht.
Der ehemalige IG-BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt im Interview
Hubertus, kannst du kurz Revue passieren lassen, wie es damals zur Fusion der drei Gewerkschaften kam und warum sie aus deiner Sicht nötig war?
Die Struktur der Gewerkschaften entsprach Anfang der 90er-Jahre schon lange nicht mehr der Industriestruktur in Deutschland. Die hatte sich seit in der Nachkriegszeit dramatisch verändert. Das heißt, die Zuständigkeiten der einzelnen Gewerkschaften waren nicht deckungsgleich mit den Strukturen der Industrie. Daraus ergaben sich immer wieder Abgrenzungsschwierigkeiten und Probleme mit anderen Organisationen. Gleichzeitig haben wir uns in der IG Chemie-Papier-Keramik damals überlegt, mit wem könnte man unter Energiegesichtspunkten – Energieversorgung war ja für die Branchen der IG Chemie der Dreh- und Angelpunkt – eine sinnvolle Neuorganisation auf den Weg bringen? Und das war damals die IG Bergbau und Energie. 1991 begannen wir damit, erste Gespräche zu führen. Gut ein Jahr später schloss sich auch die Gewerkschaft Leder an. Im Oktober 1997 war dann der Gründungskongress.
Warum haben die Gespräche so lange gedauert?
Wir haben uns bewusst so lange Zeit gegeben, weil wir nicht einfach die kleineren Organisationen einverleiben wollten, wie so viele andere das gemacht haben. Unser Ziel war es von Anfang an, eine neue Organisation zu schaffen, mit einer neuen Identität und mit einem neuen Namen. Und natürlich wollten wir von den Erfahrungen der Alt-Organisationen profitieren.
Was war der größte Knackpunkt bei den Verhandlungen? Bei welchem Thema ging’s heiß her?
(Lacht) Natürlich gibt man als Organisation, die über Jahrzehnte besteht, nicht gerne von heute auf morgen das auf, was man seit jeher gelebt hat. Also insofern haben wir auch diese Jahre gebraucht, um gegenseitiges Vertrauen aufzubauen, Misstrauen abzubauen und für andere Strukturen offen zu sein. Zum Beispiel die Ortsgruppen. Die gab es in der Chemie damals nicht. Wir hatten dafür Vertrauensleute. Daraus hat sich dann unsere eigene IGBCE-Struktur ergeben, die wir ja heute noch haben: sowohl Vertrauensleute als auch Ortsgruppen.
Wie habt ihr es geschafft, dass aus den drei unterschiedlichen Organisationen mit unterschiedlichen Mentalitäten am Ende tatsächlich eine neue Gemeinschaft entstanden ist?
Zuerst einmal darf niemand das Gefühl haben, dass er über den Tisch gezogen wird. Grundsätzlich herrschte aber eine große Offenheit, dieser neuen Organisation auch eine Chance zu geben. Und dann kommt es immer auch auf einzelne Leute an, die Gemeinschaftssinn entsprechend vorleben. Der Bergbau zum Beispiel war damals schon in einem schwierigen Strukturwandelprozess. Da war es natürlich extrem wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen von Anfang an wussten, dass wir mit ihnen gemeinsam um ihre Zukunft kämpfen werden und dass sie mit der IG Chemie einen Partner, einen Freund haben, der sich aus Überzeugung darum bemühen wird, dass in Deutschland eine eigene Energieversorgung auch in der Zukunft möglich ist.
Was war die schwerste Entscheidung für dich als Gewerkschafter?
Das Schlimmste für mich waren die politisch erzwungene Beendigung des Steinkohlenbergbaus und die damaligen Gespräche mit der Politik: für die Kolleginnen und Kollegen eine Regelung zu finden, die sie akzeptieren und die ihnen eben nicht das Gefühl gibt, dass man sie vergisst. Die ganzen Gespräche und Verhandlungen, die sich gut zwei Jahre hingezogen haben, waren sehr aufreibend. Am Ende haben wir zwar eine vorzeigbare Lösung gefunden, aber wir haben auch vielen jungen Leuten ihre Perspektive genommen, weil ihre Branche nicht mehr existiert. Das als Gewerkschafter zu verantworten, das tut schon weh.
Was war aus deiner Sicht ein großer Erfolg?
Also ein wichtiger Punkt war zum Beispiel bei der allerersten Finanzkrise 2002/2003 die Öffnung der Kurzarbeiter-Regelung für die Industrie. Die gab es bis dahin nur für das Baugewerbe oder für Unternehmen, die draußen Witterungseinflüssen ausgesetzt sind. Gemeinsam mit Olaf Scholz, der damals Arbeitsminister war, haben wir es hinbekommen, dass das Kurzarbeitergeld auch für die Industrie geöffnet wurde. Dadurch konnten wir Personalabbau verhindern.
Bestimmt hast du auch heute noch die IGBCE immer genau im Blick. Was denkst du, sind wir für die Zukunft gut gerüstet?
Das glaube ich ganz fest. Michael (Anm.d.Red.: Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IGBCE) und seine Kolleginnen und Kollegen haben ja schon vor einigen Jahren verschiedene Prozesse angestoßen, die sich mit den großen Zukunftsfragen beschäftigen. Jetzt kommt es darauf an, ob man das, was heute unter dem Begriff Transformation läuft, auch so umsetzen kann.
Was sind die größten Aufgaben, vor denen die IGBCE in den kommenden Jahren steht?
Ich glaube, die größte Aufgabe wird es sein, den Industriestandort zu sichern. Meine Befürchtung ist, dass unser Wirtschaftsmodell für die Zukunft nicht mehr trägt. Wir haben jahrelang gute Geschäfte gemacht, indem wir billig Rohstoffe bezogen haben und dann daraus fertige Produkte hergestellt und verkauft haben. Ausgliederungen aus Lohngründen haben sich ja inzwischen als Fehler erwiesen und zwar nicht nur wegen der Abhängigkeit, sondern auch wegen der Lieferengpässe. Ich glaube, da wird es ein gewisses Comeback geben. Aber das alleine wird nicht reichen. Wir werden uns überlegen müssen, wie wir in Zukunft gegen die Länder konkurrieren können, die wir in der Vergangenheit mit unserem Know-how unterstützt haben.