Krieg in der Ukraine

„Wir wollen leben“

Ein Jahr dauert der Krieg in der Ukraine nun schon. Die Gewerkschafterin Olena Liung war 2022 nach Hannover geflohen. Dann hat sie sich entschieden, nach Kiew zurückzukehren und den Kampf um die Unabhängigkeit der Ukraine zu unterstützen.

Olena Liung
Foto: © Daniel Krist

„Vielleicht ist es verrückt, in diesen Zeiten zu reisen“, sagt Olena Liung mit einem vorsichtigen Lächeln. Sie hat sich trotzdem entschlossen, sich für ein paar Wochen vom Stress des Krieges zu erholen. Die Ukrainerin ist zu Gast in Hannover, um ihre Freundin Lyudmyla Volynets und ihren Gastgeber Markus Köpp zu besuchen. Bei dem Projektsekretär der IGBCE und seiner Partnerin Linda hatten Olena Liung und ihre Mutter für drei Monate Zuflucht gefunden, als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel. Im Mai 2022 entschieden sich die beiden Frauen, nach Kiew zurückzukehren. „Wir sind sehr dankbar für die Unterstützung“, sagt Olena Liung. „Aber zu Hause ist halt zu Hause.“

Und zu Hause wird sie gebraucht: Die 46-Jährige ist Assistentin des Vorsitzenden eines gewerkschaftlichen Dachverbandes in der Ukraine. „Für uns ist zurzeit das Wichtigste, die Flüchtlinge zu betreuen, die aus den russisch besetzen Gebieten geflohen sind“, erzählt sie. „Wir besorgen Unterkünfte und organisieren Lebensmittel.“ Außerdem unterstützen sie die Mitglieder, die an der Front kämpfen: Sie organisieren Spenden von internationalen Gewerkschaften, besorgen wetterfeste Kleidung, Arzneimittel und persönliche Ausrüstung, die die ukrainische Armee nicht bieten kann. Olena Liung sorgt sich um zwei ihrer direkten Kollegen, die an der Front kämpfen. „Manche unserer Gewerkschaftler haben sich freiwillig gemeldet, obwohl sie schon sechzig Jahre alt sind“, erzählt sie. In der Gewerkschaftszentrale bekommen sie regelmäßig Todesnachrichten von Mitgliedern, die gefallen sind. Besonders viele Bergleute sind darunter.

Olena Liung mit ihrer Mutter

Vor einem Jahr: Olena Liung mit ihrer Mutter zu Gast in Deutschland.

Foto: © Kai-Uwe Knoth
Doch der Krieg findet nicht nur an der Front statt. Ständig rechnen die Menschen in Kiew mit Sirenenalarm. Ist es Tag, dann flüchten alle in die U-Bahn-Stationen. Nachts, wenn man sich erst anziehen muss, ist das schwieriger. Draußen ist dann niemand mehr, denn um 23 Uhr ist Sperrstunde. „Dann sind wir vor dem Wohnungseingang am sichersten“, erzählt Olena Liung. Vorher gilt es, alle Fenster zu schließen, damit es im Fall eines Einschlages weniger Scherben gibt.

In Olenas Nachbarschaft, keine zweihundert Meter entfernt, ist ein Hochhaus getroffen worden. Es brannte, doch die Konstruktion hielt Stand. Inzwischen ist das Haus wieder instandgesetzt, die Nachbarn sind zurückgekehrt. „Wir leben weiter und kämpfen weiter“, sagt Olena Liung entschlossen. Ja, sie hat Angst. Aber: „Die Ukrainer sind eine starke Nation.“ Wer sie trifft, kann ihr den Stolz auf die Tradition ihres Landes ansehen: Sie trägt zum Armband in den Nationalfarben einen Blouson eines ukrainischen Labels, das einen trendigen Schnitt mit üppiger Folklore-Stickerei verbindet.

Was ihr Hoffnung macht? Da fällt ihr als erstes die Armee ein, die für die Freiheit ihres Landes kämpft. Und dann ihre Mutter, mit der sie zusammenlebt: Die beiden Frauen geben sich gegenseitig Halt. Auch die Mutter hat im Sommer ihre Arbeit in einer Notarkanzlei wiederaufgenommen und ist froh, den Freiheitskampf der Ukraine aus ihrem Einkommen unterstützen zu können. „Wir denken nicht an den Tod. Wir wollen leben“, sagt Olena trotzig.

Es hilft ihr zu wissen, dass Menschen in Deutschland und anderswo auf der Welt hinter ihr und hinter dem Streben der Ukraine nach Freiheit stehen. „Wenn unsere Freunde in Deutschland nachfragen, ob es uns gutgeht, dann wissen wir, dass wir nicht vergessen sind.“

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