In München hat ein zweiter Prozess gegen den TÜV Süd begonnen. Nach dem fragwürdigen Prüfbericht eines TÜV-Tochterunternehmens starben im brasilianischen Brumadinho 272 Menschen. Die IGBCE unterstützt die Klage. Wir haben mit Hinterbliebenen gesprochen.
Das fröhliche junge Gesicht ist gleich zweimal zu sehen: Auf Regina des Silvas Handyhülle und auf dem T-Shirt, das sie vor sich ausbreitet. „Das ist meine Tochter Priscilla“, sagt sie. Auf dem Shirt steht auf Portugiesisch: „Wir werden niemals vergessen.“ Priscilla und 271 andere Menschen sind gestorben, als 2019 der Staudamm der Eisenerzmine im brasilianischen Brumadinho brach. „Sie wurden lebendig von dem Schlamm begraben“, schildert des Silva. Eine Tochtergesellschaft des TÜV Süd hatte kurz zuvor noch bescheinigt, dass der alte Damm sicher sei – trotz der Warnungen von Beschäftigten und Zweifeln der brasilianischen Zertifizierer, wie die Angehörigen der Opfer erzählen. Deswegen muss sich der TÜV Süd jetzt vor Gericht verantworten.
Der 19. September 2022 war der erste Verhandlungstag vor dem Landgericht München I. Möglich wurde die Klage der Hinterbliebenen-Vereinigung Avabrum, weil die IGBCE eine Bürgschaft für sie übernommen hat. „Ich habe noch nie erlebt, dass eine Gewerkschaft sich mit so viel Geld engagiert“, erklärt der Anwalt von Avabrum, Maximiliano Garcez. „Was die IGBCE tut, geht weit über das hinaus, was wir erwarten würden.“
Für Michael Wolters, Fachsekretär in der Abteilung Politik und Internationales bei der IGBCE, ist das nicht nur eine Frage der Solidarität, sondern auch eine politische Frage: „Der Fall von Brumadinho hat dabei geholfen, das Lieferkettengesetz durchzusetzen, das ab Januar 2023 gilt. Unternehmen können nicht nur Gewinne abschöpfen. Sie müssen Verantwortung übernehmen.“ Anwalt Garcez ergänzt: „Wir wollen im Bergbau etwas verändern. Die Konzerne sollen sich überall an die gleichen Standards halten.“
Für Regina da Silva und Alexandra Andrade, die bei der Katastrophe ihren Bruder und ihren Cousin verloren hat, war der erste Verhandlungstag beides – schmerzhaft, aber auch ein Triumph. Sie haben im Gericht ein Banner aufgehängt mit den Porträts aller Opfer. Die Vertreter des TÜV Süd sollten ihnen in die Gesichter sehen. Andrade beschreibt, was der Dammbruch für die Menschen der Region bedeutet: Aus einem touristischen Hotspot ist eine Geisterstadt geworden. Das Wasser ist auf unabsehbare Zeit vergiftet. Viele Traumatisierte haben Suizid begangen, andere kämpfen mit Angststörungen und psychosomatischen Symptomen. „Eine Mutter erzählte uns, dass sie immer wieder träumt, wie ihre Tochter Schlamm erbricht.“ Für Menschen wie sie hat Avabrum ein Gesundheitszentrum aufgebaut.
„Wir haben drei Ziele“, erklärt Anwalt Garcez: „Wir wollen finanzielle Entschädigungen für die Hinterbliebenen. Wir wollen, dass die Verantwortlichen bestraft werden und dass die Opfer ihre Leben nicht umsonst gegeben haben.“ Letzteres, meint er, haben die Hinterbliebenen und ihre Verbündeten schon erreicht: „Bergbau-Unternehmen haben ihr Risikomanagement bereits verbessert. Die IGBCE hat Leben gerettet.“