Ausbildung

„Wir erwarten mehr Engagement von den Betrieben“

Zum diesjährigen Ausbildungsbeginn am 1. August und 1. September setzt sich in den IGBCE-Branchen ein Trend fort: Es wird weniger ausgebildet. Mit Betriebsvereinbarungen und Förderprogrammen will die IGBCE gegensteuern.   

Ausbildung Kundgebung Köln Jugend 2021 Aktionsmonat Ausbildung

Kundgebung in Köln im Rahmen des Aktionsmonats Ausbildung.

Foto: © Stefan Wernz

Während 2019 noch rund 12.600 Auszubildende in den IGBCE-Branchen eingestellt wurden, waren es 2020 nur noch etwa 11.800. Im vergangenen Jahr begannen noch einmal knapp 400 Jugendliche weniger ihre Ausbildung zum*r Papiertechnolog*in, Chemikant*in, Kauffrau*Kaufmann für Büromanagement oder Industriemechaniker*in. Auch in diesem Jahr wird die Zahl der begonnen Ausbildungen deutlich unter 12.000 liegen, während die Zahl der Schulabgänger*innen in den vergangenen Jahren stabil ist. Hingegen stieg die Zahl der Jugendlichen ohne Berufsabschluss laut letztem Berufsbildungsbericht erneut an.

Die Ausbildungsplatzsituation in den IGBCE-Branchen hat sich im Laufe der Corona-Krise also drastisch verschlechtert – und stagniert seitdem auf einem niedrigen Niveau. Zwar erschwerte die Pandemie die Berufsorientierung, weil Betriebspraktika, Ausbildungsmessen oder Zukunftstage ausfielen oder nur digital stattfanden, für die jetzt immer noch niedrigen Zahlen kann das aber keine Rechtfertigung sein. Denn viele IGBCE-Branchen sind wirtschaftlich kaum von Corona betroffen, ganz im Gegenteil: Einige Pharmaunternehmen haben immens von der Pandemie profitiert und die Berufsorientierung läuft ebenfalls wieder.

Das Problem liegt also woanders: „Es fehlt am Engagement der Betriebe“, macht Philipp Hering, Leiter der Abteilung Junge Generation/ Ausbildung in der IGBCE, deutlich. „Sie müssen mehr ausbilden, wenn sie den Fachkräftemangel und die demografische Entwicklung ernst nehmen. Alles andere ist unternehmerisch nicht klug.“ Die Betriebe hätten auch eine gesellschaftliche Aufgabe und dürften niemanden zurücklassen.

Die Unternehmen verhielten sich jedoch schizophren. Einerseits würden sie über den Mangel an Fachkräften klagen, andrerseits aber sehr kurzsichtig agierten und Ausbildung nur als Kosten betrachteten. Hering stellt klar: „So funktioniert das nicht: Neue Auszubildende sind nicht mit einer neuen Maschine vergleichbar. Investitionen in Ausbildung sind immer Investitionen in die Zukunft. Und diese müssen rechtzeitig getätigt werden. Insbesondere wenn der gesamte Ausbildungsprozess von Bewerbung bis Übernahme rund fünf Jahre beträgt.“

Mit den gesunkenen Ausbildungszahlen bilden die Branchen im IGBCE-Organisationsbereich keine Ausnahme: Vergleicht man die Ausbildungsjahre 2019/2020 und 2020/2021 miteinander, sind laut der Bundesagentur für Arbeit sowohl die Anzahl der Bewerber als auch die Anzahl der gemeldeten Ausbildungsstellen um mehrere tausende gesunken. 2020 erreichte die Zahl der Neuverträge einen historischen Tiefstand. Erstmals sank sie seit Beginn der Erfassung im Jahr 1977 unter 500.000.

Die IGBCE hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Ausbildungsstart 2023/2024 Betriebsvereinbarungen zu schließen, die ein größeres Ausbildungsangebot sicherstellten. In diesen Betriebsvereinbarungen soll verbindlich geregelt werden, wie viele Personen in den kommenden Jahren ausgebildet wird. Diese sollen die gesunkenen Zahlen wieder nach oben korrigieren und diese Fehlentwicklung für die Zukunft ausschließen.

Wichtig ist laut Hering außerdem, dass die Unternehmen die Hürden für Bewerberinnen und Bewerber so niedrig wie möglich halten. „Das fängt schon bei der Ausschreibung an“, erklärt er. Bei vielen Unternehmen könne man sich nur noch online bewerben. Für viele sei das natürlich kein Problem, einige hätten aber vielleicht zu Hause keinen Zugang zu Laptop, Tablet oder Computer. Problematisch sei auch, dass sich viele Unternehmen den Ausschreibungen auf Abiturient*innen und Realschüler*innen konzentrierten. „Unternehmen müssen auch gezielt Hauptschülerinnen und Hauptschüler ansprechen“, fordert Hering. Sonst werde eine große Gruppe direkt ausgeschlossen. 

In den diesjährigen Tarifverhandlungen der chemischen Industrie forderte die IGBCE außerdem die Weiterentwicklung des Tarifvertrags Zukunft durch Ausbildungs- und Berufseinstieg. Mit den Arbeitgebern einigte sie sich auf das zeitlich befristete Förderprogramm „AusbildungPlus“, einen weiteren Schritt, um Auszubildenden zu helfen. Damit wollen die Tarifpartner die Ausbildung in kleinen und mittleren Unternehmen stärken und pandemie-bedingte Defizite der Ausbildungs- und Prüfungsjahrgänge 2022 und 2023 ausgleichen. Bei Bedarf erhalten Auszubildende eine zusätzliche Lernunterstützung und Prüfungsvorbereitung. Ausreichende finanzielle Mittel, um viele weitere Auszubildende zu unterstützen, ist noch vorhanden.

Noch eine gute Nachricht für diejenigen, die noch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind: Bewerben ist auch jetzt noch in vielen Betrieben möglich. Der Großteil der Ausbildungen startet erst zum 1. September. Möglich ist aber auch eine Einstellung zu einem späteren Zeitpunkt, beispielsweise zum 1. Februar des Folgejahres, wenn etwa andere Auszubildende kurzfristig abspringen, nach der Probezeit kündigen oder die Plätze vorher unbesetzt blieben. Hering betont: „Diese Möglichkeit müssen die Unternehmen aber auch nutzen. Sie dürfen nicht einfach den Rückgang durch solche Entwicklungen akzeptieren.“

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