Am Endpunkt von Nord Stream 1

„Unsere Arbeit ist wichtiger denn je“

Russland fährt die Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 weiter zurück. Welche Folgen hat das für die Beschäftigten am Endpunkt in Lubmin? Wie blicken sie auf die Krise und die Zukunft? Und wie auf die Manöver aus Russland? Nachgefragt bei Klaus Schneegans, dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden des Betreibers Gascade und Instandhaltungsexperten.

Gascade
Foto: © Merlin Nadj-Torma

Die Erleichterung in Deutschland am 21. Juli war einigermaßen groß: Nach Beendigung der Wartungsarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 speiste der russische Konzern Gazprom wieder 40 Prozent der möglichen Liefermenge ein – manche hatten befürchtet, dass nach der Wartung gar kein Gas mehr fließen würde. Zumal die russische Seite bereits vor der Wartung den Lieferumfang mit Hinweis auf eine defekte Turbine gedrosselt hatte. In dieser Woche kündigte Russland nun an, dass die Liefermenge erneut halbiert werden soll – auf 20 Prozent (also 33 Millionen Kubikmeter täglich) der möglichen Liefermenge. Grund dafür soll die Reparatur einer zweiten Turbine sein, hieß es. Auswirkungen auf die Beschäftigten an den Anlandestationen in Lubmin hat das zunächst nicht, sagt Klaus Schneegans, Gesamtbetriebsratsvorsitzender des Gasnetzbetreibers Gascade. Er bestätigte, dass die Liefermenge auf nur 20 Prozent gesenkt werden soll. Das entspreche seinen Informationen.

„Für uns macht es keinen Unterschied, wieviel Gas in Lubmin ankommt“, so Schneegans. „Der Aufwand ist der gleiche, das Netz und die Anlandestationen müssen gesteuert und gewartet werden.“ Im vorpommerschen Lubmin liegen die Anlandestationen der Pipelines mit je zwei Rohren für Nord Stream 1 und Nord Stream 2 betrieben werden sie von Gascade. Insgesamt hat das Unternehmen bundesweit mehr als 450 Beschäftigte, die sich um das mehr als 3000 Kilometer lange Leitungsnetz sowie die verschiedenen Anlandestationen im Land kümmern. Der Standort Lubmin selbst zählt rund 20 Beschäftigte.

„Die Firma ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, mit der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 wäre der nächste Schritt gemacht worden“, erklärt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende. Unmittelbar vor dem russischen Angriff auf die Ukraine (24. Februar) hatte die Bundesregierung Nord Stream 2 allerdings bereits auf Eis gelegt – eine Reaktion auf die Anerkennung der vermeintlich abtrünnigen Gebiete in der Ostukraine durch Russland. In Folge des russischen Angriffskrieges ist es nun noch unwahrscheinlicher, dass Nord Stream 2 je eine Betriebsgenehmigung erhält.

Arbeit in Lubmin "ist wichtiger denn je"

„Neben dem schlimmen Angriffskrieg hat das ganze mich und viele unserer Mitarbeitenden schon sehr getroffen, und es gab Sorgen, „ob wir in voller Mannschaftsstärke weitermachen können“, erzählt Schneegans. Die Wogen haben sich etwas geglättet. „Unsere Arbeit ist wichtiger denn je.“ Beispiel LNG. Neben der allgemeinen Bedeutung für die Energiezukunft Deutschlands sollen ganz konkret auch im Industriehafen von Lubmin bald mobile Terminals für Flüssigerdgas entstehen – neben weiteren mobilen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade. Bis Ende 2022 will ein privates Konsortium ein schwimmendes Terminal in Lubmin errichten, für Ende 2023 plant die Bundesregierung ein weiteres Terminal vor Ort. „Dann werden unsere Leute und unser Netz gebraucht“, so der 61-Jährige. Sorgen um die Belegschaft und das Unternehmen Gascade mache er sich deswegen nicht wirklich. „Die Frage ist jetzt vor allem, wie schnell wir LNG und auch Wasserstoff-Projekte zum Laufen kriegen.“

Ob die bereits vor der Wartung gesenkten Durchleitungsmengen durch Nord Stream 1 tatsächlich mit Turbinenproblemen zu tun haben, wie es die russische Seite behauptet, will Schneegans nicht bewerten. „Ich kann nur für unser Unternehmen sprechen. Wenn bei uns eine Turbine wegen Wartung oder Reparatur ausfällt, wird der Betrieb durch eine zweite Turbine aufrechterhalten.“ Das entspreche dem branchenüblichen Standard.

In der Materie kennt Schneegans sich aus: Der 61-Jährige ist bei Gascade zuständig für die Koordination der Instandhaltungsmaßnahmen im Pipeline-Netz und der Stationen. Bis vor kurzem waren er und seine Kolleg*innen deshalb auch in regelmäßigem fachlichen Austausch mit der russischen Seite sowie anderen europäischen Netzbetreibern. „Das ist seit Beginn des Krieges abgebrochen. Das finde ich persönlich sehr schade.“ Er hoffe nun, dass trotz fehlender Liefermengen  alle gut über den Winter kommen und dass dieser schlimme Krieg endlich zu Ende geht“.

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