Das erste Treffen der konzertierten Aktion: Was hat es gebracht? Wie geht es weiter? Was bedeutet die Initiative für die IGBCE und ihre Tarifpolitik? Ein schnelles erstes Zwischenfazit nach dem Treffen zieht der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis im Interview.
Michael, die erste konzertierte Aktion seit mehr als 50 Jahren ist gerade zu Ende gegangen. Welche Erkenntnisse nimmst du aus der ersten Runde mit?
Insgesamt hat die Sorge um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung unseres Landes die Runde geprägt. Wir waren uns einig, dass einerseits unbedingt eine Rezession verhindert, andererseits die sozialen Folgen der Inflation begrenzt werden müssen. Die aktuelle Gasmangellage darf uns nicht ausbremsen. Klar war für alle Beteiligten auch, dass die klassischen Instrumente zur Inflationsbekämpfung in dieser speziellen Form der importierten Teuerung, die stark auf der Energiepreisentwicklung beruht, an ihre Grenzen geraten. Daher gab es auch Konsens darüber, dass unser aktuelles Problem nicht die Lohn-Preis-Spirale ist. Selbst die Arbeitgeber, denen diese Argumentation ja traditionell in die Karten spielt, teilten diese Ansicht.
Wie haben sich Politik und Arbeitgeber aufgestellt?
Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, dass die Regierung bereits zwei Entlastungspakete geschnürt hat, das letzte im Volumen von 30 Milliarden Euro. Diese sind gerade erst angelaufen und haben im Juni tatsächlich schon erste Wirkung entfaltet – wie die leichte Verringerung der Teuerungsrate zeigt. Weitere Maßnahmen wie die von uns seit Jahren geforderte Abschaffung der EEG-Umlage, greifen erst zum 1. Juli. Das alles ist also nicht nichts – es entlastet die Menschen und nimmt auch etwas Druck von den Tarifrunden im Herbst. Ich bin mir aber sicher, dass die „Ampel“ spätestens im kommenden Jahr wird nachlegen müssen, wenn die großen Gas-Nachzahlungen für die Menschen anstehen. Die Arbeitgeberverbände haben natürlich die Belastung für die Unternehmen in dieser Krisensituation thematisiert. Sie haben eingefordert, dass man sowohl bei der Regulierung der Unternehmen und der Unternehmensentscheidungen zwingend vom Fleck kommen muss, die Zinsentwicklung ein Problem für Investitionen darstellen kann, und dass die Lohnpolitik aktuell nicht das Hauptproblem der Arbeitgeberverbände ist.
Welche Positionen hast du für die IGBCE vertreten?
Unsere Beschäftigten in den energieintensiven Industrien würden von nachlassenden Gaslieferungen Russlands mit voller Wucht getroffen. Das habe ich deutlich gemacht. Das gilt natürlich für ein komplettes Embargo im Besonderen, aber auch für eine weitere Reduzierung, die die Preise weiter explodieren lassen würde. Die Bundesregierung muss für diesen Fall vorsorgen und auch hier Kurzarbeit ermöglichen. Bislang ist eine vom Markt induzierte Kurzarbeit wegen zu hoher Preise und mangelnder Rentabilität nicht erlaubt. Das kann in dieser Ausnahmesituation nicht so bleiben. Da ist man aber auch schon dran. Zugleich habe ich darauf hingewiesen, dass die Klientel der IGBCE mit ihren guten Tariflöhnen zwar leistungsfähiger als einkommensschwächere Gruppen ist, aber insbesondere die Kosten für Energie im häuslichen Bereich und Mobilität auch auf diese Berufstätigen durchschlagen.
Siehst du Punkte, auf die sich die Beteiligten einigen könnten?
Das lässt sich jetzt noch nicht absehen. Wir haben uns darauf darauf verständigt, die Gesprächsrunde weiterzuführen und auf Basis der Analysen der ersten Treffen auch zu konkreten Maßnahmen zu kommen, um eine Rezession zu verhindern und die Menschen zu entlasten. Klar wurde auch, worum es nicht gehen wird: Vorschläge zu irgendeiner Form von Konditionierung laufender oder anstehender Tarifrunden zu unterbreiten.
Die konzertierte Aktion wird also keine Auswirkungen auf die Chemie-Tarifrunde im Oktober haben?
Tarifverhandlungen werden wir nicht im Kanzleramt führen – das haben alle Seiten deutlich gemacht, übrigens einschließlich des Bundeskanzlers. Von Seiten der Regierung gab es eher die Aufforderung, aus den Diskussionen zwischen den Sozialpartnern Unterstützungsbedarfe durch die Politik zu formulieren und vorzutragen. Dieses Vorgehen unterstütze ich ausdrücklich. Am Ende verhandeln aber Arbeitgeber und wir bilateral – und da wird es auch um eine nachhaltige Entlastung der Beschäftigten gehen. Denn viele Preissteigerungen, die sie derzeit erleben, sind es auch. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass gerade in der Chemie, für die wir im Oktober weiterverhandeln, derzeit Rekordgewinne an der Tagesordnung sind. Denn die Unternehmen konnten einerseits ihre Preissteigerungen – oft mit Margenaufschlag – weiterreichen, andererseits fließt das Gas noch. Sollte es bei dieser Konstellation bleiben, wird sich die Frage nach einer fairen Teilhabe der Beschäftigten stellen.