Kohleausstiegsgesetz

"Jetzt nehmen wir die Unternehmen in die Pflicht"

Wie stark der Wandel im Energiesektor derzeit voranschreitet, zeigt in diesen Tagen der Blick auf den politischen Kalender. Am vergangenen Freitag noch haben Bundesrat und Bundestag mit der Verabschiedung von Kohleausstiegs- und Strukturförderungsgesetz den schrittweisen Abschied aus der Kohleverstromung bis 2038 eingeläutet. Und schon diesen Donnerstag tagt erstmals der gerade einberufene Nationale Wasserstoffrat, der Konzepte für den breiten Einsatz des klimafreundlichen Energieträgers der Zukunft entwickeln soll.

Geliefert beim Koalitionsvertrag, aber noch Luft nach oben bei großer Politik

Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE

Foto: © Helge Krückeberg

Beides zeigt: die Transformation der Industrie ist längst in vollem Gange. Und die IG BCE engagiert sich auf beiden Feldern – bei der sozialverträglichen Rückführung der Kohleverstromung ebenso wie beim Aufbau einer funktionierenden Wasserstoffwirtschaft. Weil es entscheidend für den Standort ist, dass wir die Energiewende endlich voranbringen. An der Zukunft der Energieversorgung hängt die Zukunft unserer Industriearbeit. Ich habe deshalb sowohl in der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ meinen Beitrag zur Kompromissfindung erbracht, wie ich dies nun im Nationalen Wasserstoffrat tun werde.

Mit der Entscheidung vom Freitag haben die Parlamente eine historische Wegmarke auf dieser langen Strecke gesetzt. Nicht nur für die deutsche Energieversorgung insgesamt, sondern auch für die Zukunft Zehntausender Menschen, die in den Revieren und Kraftwerken arbeiten.

Seit Freitag ist damit ein Konflikt beendet, der unseren Kolleginnen und Kollegen viel abverlangt hat. Sie waren teils unsäglichen, ehrverletzenden Anfeindungen ausgesetzt, immer wieder begleitet von Zukunftssorgen. Aber wir haben mit gewerkschaftlicher Mobilisierung dagegengehalten, mit Mahnwachen und beispielsweise der Großdemonstration im rheinischen Revier mit über 35.000 Teilnehmenden.

Die politische Entscheidung, die Kohle-Verstromung in Deutschland auslaufen zu lassen und damit eine traditions- und leistungsstarke Branche zu schließen, ist von historischer Qualität und nur mit dem Ende der Steinkohle-Förderung zu vergleichen. Wie auch bei den Zechenschließungen haben wir für unsere Mitglieder und die Beschäftigten ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit in diesem radikalen, schmerzlichen Umbruch durchsetzen können. Wiederum ist das Maximale getan, dass niemand ins Bergfreie fällt. 

Darüber hinaus ist es gelungen, mit den vielen Milliarden des Bundes auch neue Entwicklungschancen in die Reviere zu holen. Gemeinsam mit den Ländern und den Kommunen haben wir dafür gesorgt, dass der Ausstieg mit dem Einstieg in neue Beschäftigung verbunden werden kann, mit der Option auf eine regionale Zukunft und mit der Perspektive Guter Arbeit. 

Die IG BCE und die ganze Gewerkschaftsfamilie sagen „Ja“ zum Klimaschutz mit Angemessenheit und sozialer Gestaltung. Dieser Kohleausstieg ist ein gutes Beispiel dafür. Die Gesetze atmen den Geist der Empfehlungen, die wir in der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ formuliert haben. Damit gibt es einen verlässlichen Fahrplan für den Umbau der Energieversorgung, die sozialverträgliche Gestaltung des Strukturwandels und die Weiterentwicklung der Reviere. Der sollte nun auch für alle Beteiligten bindend sein, damit wir nach vorn schauen können.

Denn die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. An erster Stelle steht nun die Aufgabe, das Auslaufen der Kohleverstromung tarifvertraglich zu regeln. Jetzt nehmen wir die Unternehmen in die Pflicht. Die vorgesehenen Entschädigungen müssen in Zukunftsinvestitionen und in die Ausgestaltung der sozialen Abfederung für die Beschäftigten fließen. Bei RWE im rheinischen Braunkohlerevier, wo schon Ende 2020 das erste Kraftwerk schließt, haben die Verhandlungen bereits begonnen. Weitere Unternehmen werden folgen.

Wir gehen davon aus, dass sich die Arbeitgeber beim Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und der Aufstockung des Anpassungsgelds bewegen, um den Reduktionspfad sozialverträglich zu gestalten. Gleichzeitig müssen sie neue Beschäftigungsperspektiven und Aus- und Weiterbildung von jüngeren Beschäftigten sicherstellen.

Gleichzeitig gilt es, die Energiewende endlich zum Erfolgsmodell zu machen. Das Land hat sich zu lange allein mit Ausstiegen beschäftigt. Wir müssen endlich einen belastbaren Einstiegsplan formulieren: für den Ausbau der Erneuerbaren und der Netze, für die überfällige Offensive beim Wasserstoff. Die IG BCE wird hier nicht nachlassen, Innovationen einzufordern. Weil wir eine sichere Zukunft der Industriearbeit in der Transformation unser Maßstab ist.