Gewerkschaften

„Gewerkschaften sind Schützerinnen der Demokratie“

Vor genau 90 Jahren stürmten Schlägertrupps von SA und SS das Bundeshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in der Inselstraße 6 in Berlin. Sie randalierten, prügelten und verschleppten Gewerkschafter. Am gleichen Tag, dem 2. Mai 1933, wurden im ganzen Deutschen Reich die Gewerkschaften aufgelöst. Heute arbeitet in der Inselstraße 6 die IGBCE. An diesem historischen Ort erinnerte der DGB-Bundesvorstand an das Versagen der Demokratie und fragte: Was können wir aus der Geschichte lernen?

Gedenkminute an der Inselstraße 6

Gedenkminute an der Inselstraße 6 in Berlin, wo 90 Jahre zuvor das Gewerkschaftshaus von SA- und SS-Schlägertrupps gestürmt wurde.

Foto: © Gordon Welters

„Gewerkschaften sind Schützerinnen der Demokratie“, sagte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi: Wer an seinem Arbeitsplatz eine starke Arbeitnehmervertretung hat, erlebt Demokratie. Aber: „Wer sich ohnmächtig fühlt, dem erscheint die Demokratie als Farce.“ Der Autor und Jurist Prof. Dr. Heribert Prantl hob in seinem Vortrag die historische Stärke der Gewerkschaften hervor: 1920 scheiterte der demokratiefeindliche Kapp-Putsch am Widerstand der freien Gewerkschaften.

Heute allerdings werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer laut Prantl zunehmend zu digitalen Einzelkämpfern. Er empfahl den Gewerkschaften, sich als „Widerpart des Digitalkapitalismus“ zu positionieren. Als „(trans-)nationale NGOs gegen die Vermarktlichung des Lebens“, meint Prantl, hätten Gewerkschaften auch die Chance, für Berufstätige der oberen Mittelschicht attraktiv zu werden. Die Gastgeberinnen vom DGB konnte er damit nicht ganz überzeugen. Fahimi hielt den Erfolg der georgischen und usbekischen LKW-Fahrer dagegen, die fünf Wochen lang mit Unterstützung aus dem DGB auf einem Parkplatz bei Darmstadt protestiert hatten. In dieser „ganz analogen, ganz harten“ Arbeitswelt sei viel eher die Solidarität der Gewerkschaften gefragt.

Am Rande Europas gibt es heute wieder eine Diktatur, in der alle Organisationen der Zivilgesellschaft verboten sind. Daran erinnerte die belarussische Gewerkschafterin Lizaveta Merliak, die sich aus dem Exil in Bremen heraus für Verfolgte in ihrer Heimat engagiert. Sie dankte der IGBCE für die Unterstützung, die inhaftierten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Belarus und ihren Familien zugutekommt.

Eine gute Nachricht kam von der Historikerin Kristina Meyer: „Es geht zu weit, die Situation in Deutschland 2023 mit 1933 zu vergleichen“, meint sie. Heute ist die Gesellschaft liberaler und die Demokratie gefestigter. Allerdings: Nach Schätzungen leisteten nur etwa zehn Prozent der Mitglieder von SPD und Gewerkschaften irgendeine Art von Widerstand gegen das Nazi-Regime. „Das zeigt, wie leicht Menschen bereit sind, ihre demokratischen Rechte abzugeben“, schlussfolgerte die Historikerin.

Wenn die Demokratie in eine Schieflage gerät, dann fühlen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen es zuerst, meint Jennifer Otto von der Jungen Gruppe der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Wir sind der personifizierte Staat.“ Die GdP veranstaltet Seminare, um die Gegner*innen der Demokratie von links und rechts besser zu verstehen. „Der Arbeitgeber tut hier zu wenig“, kritisierte Otto. Yasmin Fahimi pflichtete ihr und Prantl so weit bei, dass es wichtig ist, mit Andersdenkenden im Gespräch zu bleiben. Doch gibt es für die DGB-Chefin eine klare Grenze: „Wer Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder ihres Geschlechts gleiche Rechte abspricht, ist für mich ein Antidemokrat.“

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