SBV-Jahrestagung

"Barrierefreiheit beginnt im Kopf"

Auf der 14. SBV-Jahrestagung (23. bis 24. November) unter dem Motto "100 Jahre Schwerbehindertenrecht - von der Beschäftigungspflicht zur Zukunftschance Inklusion" haben die Beteiligten darüber gesprochen, welchen Einfluss die Schwerbehindertenvertreter haben und was noch getan werden kann, um diesen auszuweiten.

14. SBV-Jahrestagung 2020 Abschlussbild

Abschlussbild der SBV-Jahrestagung.

Foto: © IG BCE

Mitbestimmung zählt - gerade auch die durch die Schwerbehindertenvertretungen (SBV). Umso mehr in einer Krise wie die der Corona-Pandemie, denn gerade Menschen mit Behinderung sind besonders von der Krise betroffen und das macht es auch für Schwerbehindertenvertreter nicht leicht; ihre Verantwortung ist dabei besonders hoch. Petra Reinbold-Knape, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der IG BCE sagt, dass das Prinzip der gewerkschaftlichen Mitbestimmung gerade auch in schwierigen Zeiten gelte. Und sie betonte: "Barrierefreiheit beginnt im Kopf - und das bedeutet, dass die Barrieren abzubauen sind."

Sozialpartnervereinbarung zwischen IG BCE und BAVC

Um das auch betrieblich weiter zu festigen, hatten die IG BCE und der BAVC im September die bundesweit erste Sozialpartnervereinbarung zu Inklusion unterzeichnet. Diese war entsprechend auch Thema der Tagung. Die Vereinbarung ist die bundesweit erste ihrer Art und soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in den Betrieben der Chemie-Industrie sicherstellen. Knape erhofft sich davon ein "politisches Signal in die Betriebe" - gerade auch in die Betriebe anderer Branchen.

Die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (SPD) merkte in ihrer Rede an, dass die Sozialpartner ganz entscheidend für die Teilhabe von Menschen mit Behinderten seien und sagte: "Die IG BCE setzt deutliche Akzente; IG BCE und BAVC ist es gelungen, die erste Sozialpartnervereinbarung zu Inklusion zu unterzeichnen - ein Novum."  

BAVC-Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Stiller berichtete davon, wie Betriebe wie Evonik mit der Sozialpartnervereinbarung umgehen; "die Firma hat einen detaillierten Aktionsplan entwickelt", um die Inklusion weiter zu unterstützen.

Schwerbehindertenvertreter und ihre Einflussmöglichkeiten

Die SBV-Gesetzgebung, die in einer 100-jährigen Tradition steht, sei inzwischen etwas zu sehr "in die Jahre gekommen, um die Digitalisierung und Transformation sozial zu gestalten", so Knape. Dennoch waren sich alle Teilnehmer einig, dass das Schwerbehindertenrecht wichtige Meilensteine gesetzt habe und zuletzt auch gestärkt worden ist.

So sind die SBVen 2016 durch das Bundesteilhabegesetz gestärkt worden,  dennoch sind ihre Möglichkeiten immer noch eingeschränkt. So ist ein aktiver Betriebsrat immer noch ein wichtiger Rückhalt für jede SBV. Immerhin ist durch das Gesetz auch die Kooperation zwischen Betriebsrat und SBV verbessert worden.

Rita Weber, Gesamt-Schwerbehindertenvertreterin für die IG BCE sowie Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertreter in der IG-BCE-Hauptverwaltung merkte an, dass sich die Situation zwar "durchaus verbessert" habe, aber die Schwerbehindertenvertreter weiter eingeschränkt seien - eine Inklusionsvereinbarung sei nur zusammen mit dem Betriebsrat umsetzbar. "Direkter Einfluss für die Schwerbehindertenvertreter findet eben nur über den Betriebsrat statt", erklärte sie. Eine erste Möglichkeit für mehr Einfluss auf Augenhöhe wäre, wenn SBVen im Betriebsrat stimmberechtigt sind.

Der Jurist Prof. Dr. Wolfhard Kohte wies außerdem bei Fällen wie Continental darauf hin, rechtzeitig zu handeln: "Für Menschen mit Behinderung muss das Präventionsverfahren bei betriebsbedingten Kündigungen rechtzeitig angewendet werden" - dann hätten diese auch eine bessere Chance übernommen zu werden, da es bei ihnen häufig nur längere dauere, erklärte er.

Digitalisierung: Barrierefreiheit im Internet

Ein wichtiges Praxisbeispiel der Tagung war die (fehlende) Barrierefreiheit im Internet. So machte der Berater und Trainer für inklusive Medien Bahaddin Batmaz darauf aufmerksam, dass beispielsweise Blinde das Internet ebenfalls gut nutzen können - aber künstlich eingeschränkt werden, wenn bei Webseiten nicht darauf geachtet wird. 

Mit Screenreader-Programmen zeigte Batmaz, wie er sich die Inhalte von Webseiten vorlesen lässt - für den ungeübten Hörer ist die rasant sprechende Computer-Stimme nur schwer verständlich, für Batmaz hingegen ist das ganz normal. Allerdings kommt der Screenreader an seine Grenzen, wenn Webseiten in erster Linie über Bilder funktionierten: "Die technischen Hilfsmittel sind immer nur so gut wie diejenigen, die die Webseiten technisch korrekt umsetzen", erklärt Batmaz. So gebe es Vereinbarungen zur korrekten Umsetzung, doch viele hielten sich nicht daran.

Die Digitalisierung sei auch in diesem Bereich eine riesige Chance. Doch "obwohl die Digitalisierung so vieles ermöglicht, geht es jetzt wieder mehr Richtung Ausschluss, zum Beispiel bei Touchpads."

Bei der diesmal wegen der Corona-Pandemie ausschließlich digital stattfindenden Tagung waren rund 60 Zuhörer dabei.